Wer nicht weiß, was ich mit Anpassungsphase meine, hier eine kurze Erklärung:
Als Kind und Jugendliche lebte ich mit meinem Autismus recht konform. Ich rebellierte, wenn es mir zu viel wurde, und zog mich ständig in meine eigene Welt zurück. Die bestand im Grunde nur aus zwei Plätzen: entweder schrieb oder las ich vollkommen zurückgezogen in meinem Zimmer oder ich hielt mich alleine im Wald auf. Dazwischen war nur Chaos, das ich kaum wahrnahm – ineinander schwimmende Farben und scheppernde Geräusche. Ich kann mich an ziemlich wenig erinnern, das außerhalb meiner Welt in dieser Zeit stattfand. War immer nur auf Durchhalten programmiert.
Mit ca. 20 Jahren begann bei mir die Anpassungsphase, die Zeit, in der ich mit aller Kraft meine Welt verließ, um in dem Draußen zurecht zu kommen. Auf Dauer ließ sich ein Leben in einem Zimmer oder im Wald ja nicht finanzieren. Ich mobilisierte alle Kräfte, heiratete und bekam zwei Kinder. Es blieb keine Zeit mehr für meine eigenen Belange. Mir kam nicht einmal in den Sinn, dass ich falsch oder unverantwortlich für mich handelte. Ich beobachtete die Welt außerhalb meiner und wollte mich anpassen. Das kann doch nicht so schwer sein.
Doch, das war es – immer. Alles was ich tat, erschien mir schwer und schöpfend. Ich verband Faulheit oder Dummheit damit, denn was anderes fiel mir nicht ein, was meine Reaktion erklären könnte. Also musste ich eine Schippe drauf legen. Alles, was ich tat, tat ich unter Druck und Zwang, um nicht aufzufallen.
Wenn ich heute daran zurückdenke, fällt mir auf, dass mein ganzes Denken und Fühlen immer von dem Begriff „Durchhalten“ geprägt war. Ich konnte in keinem Moment verweilen, weil ich immer nur daran dachte, was als nächstes kommt. Schaffe ich das? Getriebenheit und die Sehnsucht nach Ruhe waren meine konträren Begleiter. Ob Familienfeiern oder sonstige Aufgaben als Mutter und Ehefrau außerhalb meiner eigenen Welt, ich dachte immer nur daran, wann es endlich vorbei sei. Nur hinter mich bringen. Ständig kam mir der Spruch über die Lippen: Bin ich froh, wenn alles vorbei ist. Fast jeder Tag war eine pure Erledigung, wie der unangenehme Termin bei einem Arzt.
Ich erinnere mich an meine Sehnsucht, alles möglichst schnell zu erledigen, damit mir wenigstens noch ein paar Minuten oder Stunden für Ruhe blieben. Rationelles Handeln war bei mir an der Tagesordnung, nur damit ich zur Ruhe kam. Je schneller ich arbeitete, desto eher der Feierabend. Doch ich kam nie zur Ruhe. In meinem Kopf entstanden bereits die nächsten Pläne. Kein Rückzug, kein Gönnen und bloß kein Verweilen.
Man stellte recht schnell eine latente Überfunktion meiner Schilddrüse fest. Damit hatte ich einen vorläufigen „Schuldigen“ für meine Getriebenheit gefunden. Erklärungen waren immer schon wichtig für mich. Doch es verbesserte meine Situation nicht. Es wurde immer schlimmer. Da ich nie in den Rückzug kam, brach ich mit 29 Jahren zu ersten Mal total zusammen. Krebs. Der Körper baute seit langem keine Abwehrkräfte mehr auf. Was blieb, war die Sehnsucht, endlich zur Ruhe zu kommen.
Ich begrüßte meine Krebserkrankung sogar, weil ich endlich nach außen zeigen konnte, dass ich Ruhe brauchte. Ja, ich machte den Krebs zu meinem Freund und genoss die genehmigte Auszeit.
Doch kaum hatte ich alle Therapien hinter mich gebracht, begann die Getriebenheit von vorn. Sie hörte einfach nicht auf. Ich versuchte immer alles zu erklären und erklärte diesmal meine Erschöpfung mit der Chemotherapie, die ich über mich ergehen lassen hatte. Sie musste einen Teil meiner Kraft verschlungen haben. Das klang plausibel.
Was ist geblieben?
Die Erinnerung an einen wahren Hürdenlauf durch mein Leben. Dann die vielen Momente, in denen in einfach in einem Sessel oder auf dem Sofa immer wieder aus unerklärlichen Gründen einschlief. Das schlechte Gewissen, nichts und niemanden gerecht werden zu können und die Schuldgefühle, die man mir aufredete.
Weiter blieb meine merkwürdige Sicht auf die Welt. Meine Wahrnehmung war in so vielen Bereichen immer schon anders, auch die Art, mit Menschen umzugehen. Ich verstand vieles nicht und konnte mir ebenso vieles nicht erklären. Nebenher lief immer schon eine andere Welt ab als die, in der ich lebte.
Wie gut, dass es Zusammenbrüche gibt, denn nur sie waren meine wahren Freunde. Sie haben mir auf ehrliche Weise gezeigt, dass etwas falsch lief. Wer sie wahrnimmt und richtig handelt, wird ihnen eines Tages sehr dankbar sein. So ist doch immer der eigene Körper und die eigene Seele der beste Freund eines jeden Menschen. Zeit, sich mehr um diese zu kümmern…
Ich befinde mich im vierten Jahr nach der Gewissheit, eine Betroffene des Asperger Syndroms zu sein. Jemand vom Fach sagte mir, dass es fünf Jahre im Schnitt braucht, um in seinem wahren Leben wieder anzukommen. Sind das Erfahrungswerte?
Ich kann es bis jetzt bestätigen, denn ich habe in den letzten vier Jahren mein Leben Stück für Stück so verändert, dass ich meinem wahren Naturell ziemlich nahe gekommen bin. Ich habe im Familien- und Freundeskreis mit allen belastenden Kontakten Stück für Stück aufgeräumt, mein Leben umgestellt, den Beruf ergriffen, dem ich schon immer nachgehen wollte und werde nun als letzten Schritt noch den Ort zum Leben aufsuchen, der am besten zu mir passt. Und dann sehen wir mal weiter, was das Leben mit mir macht….
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