Ich trenne in diesem Beitrag Alleinsein von Einsamkeit. Über Einsamkeit schrieb ich bereits.
Einsamkeit ist ein Gefühl, unter dem man trotz Partner, Familie oder Freunde leiden kann. Wogegen Alleinsein eine Situation schafft, in der man sich ohne weitere Personen zurückzieht und keine Reize von dieser Seite mehr erfährt.
Der Begriff „Alleinsein“ ist bei vielen NTs mit Angst besetzt und wird mit Einsamkeit verbunden. Das ist bei mir völlig anders. Ich werde es erklären:
Alleinsein bedeutet, mich an einem Ort (Zimmer, Natur) zu befinden, an dem sich kein anderer aufhält, dem ich Aufmerksamkeit schenken müsste. Sobald sich eine Person in meiner Nähe aufhält, mit der ich verbunden bin (Partner, Familie, Freund …), kreisen meine Gedanken um diese Person. Ich nenne das „Fixum“.
Mein Fixum funktioniert wie ein Motor. Man stelle sich vor, man sei ein Auto in einer Garage. Der Motor ist aus, also kalt, und der Wagen ruht in akustischer Stille. Nun setzt sich morgens ein Fahrer in diesen Wagen und dreht den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor reagiert und setzt viele mechanische und technische Abläufe in Gang. Es entstehen Geräusche und Unruhe. Der Fahrer bestimmt die Fahrweise (ruhig, hektisch, aggressiv), wohin der Wagen lenkt, wie schnell er fahren soll und wo er ankommen will.
Nun projektiere ich diese Situation auf mich:
Ich bin sinnbildlich der Wagen.
Wenn ich allein in meinem Zimmer bin, kommen meine Gedanken zur Ruhe. Je länger ich allein bin, desto größer wird die Ruhe in mir. Es entspannt mich und schenkt mir neue Energie. Ich spüre das Leben.
Nun nähert sich eine Person und betritt mein Zimmer. In diesem Moment dreht derjenige den „Schlüssel in meinem Zündschloss“. Er startet meine Gedanken, indem ich auf „Aufmerksamkeitsmodus“ schalte und setzt Abläufe in mir in Gang. Ich konzentriere mich sofort darauf, was derjenige von mir will oder erwartet und spüre, wie mein Gedankenmotor heiß läuft. Es entstehen Geräusche und Unruhe in mir.
Bis hierhin ist es nichts Absonderliches, weil es jedem Menschen so geht. Da sich bei mir aber die Leitungen für die soziale Interaktion immer nur über „Umleitungen“, also viele zusätzliche Wege, abrufen lassen, läuft mein Motor viel lauter und stärker, als bei anderen. Es hört sich an, als wenn der Fahrer den Motor aufjaulen ließe. In mir entstehen Hitze und volle Konzentration. Ich spüre kein Leben mehr in mir.
Ich verlasse mich selbst, wende mich dieser Person zu und versuche herauszufinden, ob sie ruhig, hektisch oder aggressiv ist. Dementsprechend passe ich meine Stimmung an. Ich werde von dieser Person „gesteuert“. Sie bestimmt, wie schnell ich fahre, wohin und wo ich ende.
Wo liegt nun der Unterschied zu Menschen, die keinen Autismus haben?
Bei mir liegt er darin, dass ich diesem Motor keine Eigenständigkeit geben kann. Er hat kein spürbares Leben für mich. Ich kann ihn nicht abwürgen, ausschalten oder anders steuern. Meine eigenen Wünsche verkriechen sich irgendwo in meinem Inneren und lassen sich von mir nicht mehr spontan abrufen. Meine Verbindung von Körper und Geist ist in diesem Moment gestört. Ich stehe außerhalb meiner Persönlichkeit. Erst Stunden später finde ich die Reaktion in mir, die angemessen wäre. Doch solange ich sie nicht finde, lasse ich das Recht des Fahrers gelten.
Nun zurück zum Alleinsein.
Wenn ich alleine bin, schmeißt niemand meinen Motor an außer mir. Dann bestimme ich die Geräusche und Fahrweise. Ich werde nicht fremdbestimmt. Das beschert mir Sicherheit und Wohlgefühl.
Deswegen ist es wichtig, dass man mir immer wieder zugesteht, allein zu sein, ohne zu hinterfragen warum und weshalb. Es tut mir einfach gut und ich kann mich zurückgezogen komplett entspannen. Meist schreibe oder lese ich oder höre Musik. Dann spüre ich das Leben.
Das schenkt mir Energie, meinen Motor wieder von anderen starten zu lassen.
Wenn Partner, Freunde oder Familie eines Aspergers dieses Prinzip einmal begriffen haben, werden sie mit großer Freude diesem Menschen mehr Möglichkeiten des Alleinseins einräumen. Damit machen sie ihn sehr glücklich und erfahren große Dankbarkeit von ihm.
Zumindest ist es bei mir so!
(Ab jetzt kann man meine Blogs auch zusammengefasst als eBook und Printausgabe lesen)